Rombachs Finanztipps:

High Noon bei Wirecard: Steht mir Schadenersatz zu?

Für Wirecard-Anleger gilt ab sofort: Achtung, aufgepasst. Es ist High Noon angebrochen. Egal, ob Sie ehemaliger Aktionär oder Anleihebesitzer sind oder Zertifikate hatten, sie müssen langsam was tun, um der drohenden Verjährung zu entgehen. 

Dabei gibt es mehrere Wege sich Recht zu verschaffen, aber bei allen drängt die Zeit. Bis Ende Mai (also heute!!!!) ist die Stiftungslösung möglich, bis Mitte Juni kann der Klageweg mit einem Prozessfinanzierer gegangen werden und bis Mitte September können Sie sich noch zu einem sogenannten Musterverfahren anmelden. 

Verkompliziert wird das alles dadurch, daß einige Möglichkeiten nichts kosten, andere dagegen schon. Und dann ist da noch die Frage, wen verklage ich überhaupt? Markus Braun direkt oder die Wirecard AG oder vielleicht doch lieber den Wirtschaftsprüfer EY, dort ist möglicherweise am meisten „zu holen“.

Juristisches Neuland „Stiftung“

Da die Stiftungslösung ultimo Mai 23 auslief, will ich sie wenigstens noch nennen. Die „Stichting Wirecard Investors Claim“ betritt juristisches Neuland und strebt einen außergerichtlichen Vergleich an. Alle Kosten übernimmt die Stiftung, im Erfolgsfall erhält sie ein Viertel des erstrittenen Geldes. Der Vorteil der Stiftungslösung: Keine Kosten. Interessenten wenden sich an die Anlegerschutzvereinigung DSW, die auch diese Lösung empfiehlt.  

Wie gesagt, diese Suppe ist bereits gegessen, für den Anleger ist die Türe bereits zu.

Prozessfinanzierer kostenlos, aber hohe Erfolgsbeteiligung

Der Prozessfinanzierer Litfin bietet „kostenlose“ Klagen gegen den Wirtschaftsprüfer EY an, allerdings muss der Mindestschaden 20.000 Euro betragen. Auch hier wird das Modell von einer Anlegerschutzvereinigung favorisiert, hier ist die SdK. Litfin hat sich mit der britischen Kanzlei Pinsent Masons zusammengetan und die teilen sich dann im Erfolgsfall 18 bis 25 Prozent des erstrittenen Geldes. Für den Anleger bleibt dann halt noch der Rest, aber immerhin. Eine Anmeldung zu diesem Verfahren ist noch bis 15. Juni 2023 möglich. Also auch hier drängt die Zeit.

KapMuG: Langwierig, schwierig, aber relativ günstig

Gegen den Wirtschaftsprüfer EY wie auch gegen Wirecard Vorstände sind mehrere tausend Klagen eingereicht worden. Die sind nun alle vom Bayerischen Obersten Landgericht in einem sogenannten Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) gebündelt worden. 

Diesem Verfahren können nun Geschädigte immer noch „beitreten“. Doch Achtung! Das Gericht klärt erstmal prinzipiell, ob Wirecard Anleger Anspruch auf Schadensersatz haben und hinterher muss der Anleger auf Basis dieses Urteils dann seinen individuellen Schaden selbst geltend machen. 

Ein Beitritt zum KapMuG Verfahren ist nur noch bis zum 18. September 2023 möglich. Die Kosten halten sich im Rahmen. Bei einem Schaden von 10.000 Euro sind es rund 750 Euro. Doch Achtung! Musterverfahren dauern nahezu ewig. Kleiner Tipp für den Fall des Falles: Die sogenannte „Inverzugsetzung“ beantragen, das bringt einen zusätzlichen Zinsanspruch von 5 Prozent pro Jahr ein und kostet nur läppische 100 Euro extra.

Recht haben, Recht bekommen, Recht durchsetzen

Doch Vorsicht bei alledem. Zwischen Recht haben, Recht bekommen und Recht durchsetzen liegen manchmal Welten, gewissermaßen dreierlei Stiefel.

Was fange ich mit einem Pfändungstitel gegen den ehemaligen Wirecard Chef an? Gut, der ist dann 30 Jahre gültig und trotzdem hilft der mir nicht weiter, weil jetzt und auf lange Sicht bei Markus Braun nichts zu holen ist. Viel Geld eingesetzt, um am Ende eine lange Nase gezeigt bekommen? Anlegerglück sieht anders aus. Den Pfändungstitel einrahmen und an die Wand hängen, mag so sehr dekorativ am Ende auch nicht sein.

Deckel drauf…Gut für die Psychohygiene?

Wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen, ich würde mir den Stress einer möglicherweise jahrelangen juristischen Auseinandersetzung mit völlig ungewissem Ausgang nicht antun. Sie werden tagaus tagein mit ihrer persönlichen Fehlinvestition „belästigt“ und das tut der eigenen Psychohygiene ganz sicher nicht gut. 

Wenn Sie vielmehr aus der gemachten Erfahrung lernen und für die Zukunft eine vorsichtigere Depotstrategie fahren, haben Sie mehr richtig gemacht als auf Zornesfalten sitzen zu bleiben. Die im Zweifel von Tag zu Tag wachsen. Das muss alles nicht sein.

 

Und zum Schmunzeln noch mein „Knallbonbon der Woche“ 

Etliche Viertklässler können nicht richtig lesen, sagt eine aktuelle Studie des IFS Institutes der Universität Dortmund. Ein alarmierender Befund.

Noch alarmierender ist das Verhalten der Politik. Bis auf mit Pathos beschmierten Sonntagsreden, „das dürfe so nicht weitergehen“, geschieht seit Jahren nichts.

Das Volk der Dichter und Denker liest immer schlechter. Mit richtigem Schreiben und Rechnen ist das auch so eine Sache. Der Politik ist das offenbar schnurz. Wie armselig ist das denn?

Liebe Abonnenten des Bilderbogen: Falls Sie auch eine Frage rund ums Geld haben, immer zu. Schreiben Sie an rombach@derboersebius.de

Ich freue mich.

Bleiben Sie mir gewogen, ich bin Ihnen ebenso verbunden.
Über Anregungen für Themenvorschläge freue ich mich sehr.

Stets, Ihr

Reinhold Rombach

„Börsebius“

Unser Gastkommentator Reinhold Rombach ist einer der bekanntesten Börsenexperten Deutschlands und lebt schon lange in Rodenkirchen. Er beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit börsennotierten Gesellschaften, mit Aktien und Fonds, analysiert ihre Stärken und Schwächen. Seine Meinung über Geld&Börsen veröffentlichte er früher als Kolumnist in der Zeit (aber auch in der Wirtschaftswoche und der Süddeutschen Zeitung) und mehr als ein Vierteljahrhundert im Deutschen Ärzteblatt als „Börsebius“. Seine Fans nennen ihn aber auch den „Kostolany vom Rhein“ oder das „Kölsche Orakel“.  Rombach´s spannende wöchentliche Kolumnen und eine Aktien-TopTen-Masterliste erscheinen im Web unter www.derboersebius.de