Aufnahmen aus 170 Jahren Dom- und Fotogeschichte
Beim Anblick der ungesicherten Steinmetze stockt der Atem. Einer hangelt sich von einer Fiale zur nächsten. Andere steigen einen Strebebogen hinauf. Ruth Hallensleben hat sie bei der Arbeit am Kölner Dom fotografiert.
Die Kölner Lichtbildnerin dokumentierte von 1946 bis 48 die dortigen Instandsetzungsarbeiten – innen wie außen. Einige ihrer Bilder finden sich nun erstmals publiziert im beeindruckenden Bildband des Greven Verlages: „Der Dom. Die Kölner Kathedrale in der Fotografie seit 1850“.
Für diesen haben der seit 2016 amtierende Dombaumeister Peter Füssenich und seine Vorgängerin (1999 bis 2012) Barbara Schock-Werner aus vielen hundert Fotos rund 160 besonders aussagekräftige wie beispielhafte ausgewählt. Darunter bekannte etwa von August Sander, Karl Hugo Schmölz, Margaret Bourke-White, die 1945 die erste katholische Messe nach Kriegsende mit US-Soldaten in der Marienkapelle festhielt, und Anselm Schmitz. Letzterer fotografierte 1881 unter anderem die Spitze des Nordturms. Auch in diesem Bild setzte Schmitz einen Menschen gegen die Architektur, um die enormen Dimensionen des Sakralbaus aufzuzeigen. Selbst Domkenner*innen werden erstaunt sein über die Vielzahl an wenig gesehenen bis noch gar nicht veröffentlichten Arbeiten.
Fotopioniere wie Johann Franz Michiels und Charles Marville verfolgten bereits ab den 1850er Jahren den Dom-Fortbau. Mit Fotos aus den 1860ern bis 1880ern sind etwa die Gebrüder Schönscheidt und Theodor Creifelds vertreten. Verschiedene künstlerische Positionen der Nachkriegszeit finden sich in Arbeiten etwa von Heinz Held, Chargesheimer, Winfrid Kralisch, Volker Döhne und Boris Becker. Mit solchen von Florian Monheim, Reinhard Matz, Axel Schenk und Rainer Gaertner, dem Schock-Werner eine „vergoldet-verklärende“ Sicht auf den Dom attestiert, lässt sich dem Blick zeitgenössischer Architekturfotografen nachspüren. „Gänsehautmomente“, wie sie Füssenich und Schock-Werner bei der Bildauswahl erlebten, sind ebenso beim Blättern in der Publikation zu erwarten. Mindestens wird verblüffen, wie klar und detailreich die fototechnisch neu bearbeiteten Negative und Abzüge vor uns stehen. Die Aufnahmen sind nicht chronologisch, sondern nach den jeweiligen Himmelsrichtungen geordnet. Dies solle laut Schock-Werner etwa eine bessere Vergleichbarkeit der Motive gewährleisten und Veränderungen deutlich nachvollziehbar machen.
Ein eigenes Kapitel ist der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau gewidmet. Prägnant erläutern Füssenich und Schock-Werner jedes Foto. Dabei machen sie aufmerksam ebenso auf unbekannte oder zumindest häufig übersehene Details. Von Sander stammt das 1938 angefertigte Foto von Süden über die Dächer der Innenstadt. Laut Füssenich ist es wahrscheinlich eines der letzten des unbeschädigten Domes und seiner noch intakten näheren Umgebung. Dass deren Gesicht sich im behandelten Zeitraum merklich gewandelt hat, führen die beiden Bearbeitenden mit zahlreichen Aufnahmen vor Augen. Auch für den Dom, betonten Füssenich und Schock-Werner, sei die Erfindung der Fotografie nicht wegzudenken. Historische wie aktuelle Fotografien bildeten eine wichtige Dokumentationsquelle für die Bauforschung und die gegenwärtigen Arbeiten der Dombauhütte. Ohne Lichtbilder und die sie bewahrenden Archive wüssten wir heute deutlich weniger über die Kathedrale.
Peter Füssenich u. Barbara Schock-Werner: Der Dom. Die Kölner Kathedrale in der Fotografie seit 1850, herausgegeben vom Zentral-Dombau-Verein zu Köln, 208 Seiten mit über 150 Abbildungen, Leinen, Greven Verlag Köln, 38,- Euro (Sonderpreis für Mitglieder des Dombauvereins: 30,- Euro).