„Ein wunderbares Gelände mit hohem Potential“

Pflege- und Entwicklungskonzept des Naturschutzgebietes Sürther Aue vorgestellt

Sürther Aue, Schotterfläche vor dem Bewuchs, links hinten Shell, ganz links Mauer und Halle von Firma Theo Steil. c E. Broich.

Was passiert in den nächsten Jahren mit und in der Sürther Aue? Der Ausbau des Godorfer Hafens jedenfalls ist seit 2019 vom Tisch und die Fläche des aktuell knapp 240.000 Quadratmeter umfassenden dortigen Naturschutzgebiets (NSG) seit Anfang 2021 in vollem Umfang wieder im Besitz der Stadt Köln. Damit das im Landschaftsschutzgebiet L20 liegende NSG seiner Schutzkategorie wieder umfänglich gerecht wird, haben das Amt für Landschaftspflege und Grünflächen, das Umweltamt, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) eine Pflege- und Entwicklungskonzeption entwickelt. Dabei leistete die NABU-Naturschutzstation Leverkusen-Köln mit ihrem Kölner Standort in Finkens Garten (Rodenkirchen) die wesentliche Arbeit. Diese beinhaltet auch die Empfehlung, die NSG-Abgrenzung „zu gegebener Zeit zu erweitern bzw. anzupassen“. Zuletzt lud der Bürgerverein „für sürth e.V.“ zu einer Informationsveranstaltung über das Konzept. Gut hundert Menschen im von der Evangelischen Kirchengemeinde Sürth-Weiß zur Verfügung gestellten Gemeindesaal verfolgten die Ausführungen von Naturschutzexperten, Bezirksbürgermeister Manfred Giesen und Verwaltungsmitarbeitenden. Giesen bedankte sich stellvertretend bei der Vorsitzenden Kirsten Flach für das Engagement des Bürgervereins. In ihrer Begrüßung stellte sie „schöne Lösungsvorschläge, was wir in den nächsten Jahren dort entwickeln können“, in Aussicht.

Große biologische Vielfalt

NABU-Mitarbeiter Walter Halfenberg eröffnete sein Referat mit einem Blick auf die historische Entwicklung des Areals. Beim Bau des zweiten und dritten Hafenbeckens in den 1960er Jahren sei auf der ursprünglichen Auelandschaft großflächig ein vier bis fünf Meter starkes Plateau aus Kies und Sand aufgeschüttet worden. Auf dieser sehr trockenen, stark besonnten Fläche fließe Regen sofort ab. Als geplante Hafen-Erweiterungsfläche sei dieses Areal entbuscht und mit Ziegen beweidet worden. Der Ausbaustopp habe wiederum zu unkontrolliertem Pflanzenwachstum geführt. Aktuell zeige sich das Gebiet als Mosaik aus verschiedenen Flächen und Biotoptypen. Halfenberg wies hin auf eine große biologische Vielfalt. 2021 seien Pflanzen, insbesondere Tierarten, kartiert worden. Dabei habe man etwa dreißig mitunter gefährdete Brutvogelarten wie Bluthänfling, Gelbspötter, Nachtigall und Neuntöter registriert. 19 Vogelarten seien als Nahrungsgäste, Außenreviere oder Durchzügler identifiziert worden. „Die Bedeutung des Gebietes ist nicht nur durch die Rote-Liste-Arten, sondern auch durch die sehr hohen Zahlen an Revieren und Arten gegeben.“

Zauneidechsen und bedrohte Heuschreckenarten

Sürther Aue im Hintergrund des Hafengeländes, rechts hinter einer Mauer grüne Gebäude der Firma Steil.  c E. Broich.

Überdies seien 13 Heuschreckenarten sowie 24 Tagfalter- und Widderchen-Arten mit mehreren Arten der Roten Liste festgestellt worden. „Ich kenne kein Gebiet in Köln, in dem so viele Tagfalterarten vorkommen“, sagte der Biologe. Hohe Bedeutung maß er dem Vorkommen von Zauneidechsen und „teils sehr seltenen und bedrohten Heuschreckenarten“ zu. Zur zentralen Zielsetzung gehöre, gefährdete Biotoptypen und Leitarten zu erhalten und mittels Schutz- und Pflegemaßnahmen „der Entwicklung von Lebensräumen für die dargestellten Zielarten gerecht zu werden“. Die derzeit komplett verbuschten Bereiche wolle man bis maximal siebzig Prozent in ein offenes Gelände für Arten offener Lebensräume verwandeln. Gleichzeitig wolle man in diesem dann durch vegetationsarme und -freie Flächen gekennzeichneten Gelände Inseln mit gebüschreichen Gehölzbeständen erhalten. Daneben gehe es um die Aufwertung der Wiesenflächen sowie des noch vorhandenen Stromtal-Halbtrockenrasens und der Magerwiesen. Auf einer größeren zusammenhängenden Fläche sei eine extensive Standweide vorgesehen. Der sie umgebende elektrische Zaun werde nach außen mittels Buschwerk abgeschirmt. Die Beweidung sollen ganzjährig zunächst vier Esel aus einer bestehenden Herde übernehmen.

In ihren natürlichen Zustand soll auch eine um 2010 von der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK) im Südwesten des Schutzgeländes angelegte Schotterfläche zurückversetzt werden. Sie diente der Feier des ersten Spatenstichs für die geplante Hafenerweiterung und als Standort für Infocontainer. Zum Konzept gehört auch, einige der vorhandenen Fuß- und Radwege zu erhalten und illegal entstandene Trampelpfade unzugänglich zu machen. Infotafeln oder -stelen und Führungen sollen Interessierte mit dem NSG vertraut machen. Sichtachsen von Norden, Osten und Süden sollen den ebenerdigen Blick auf beweidete Flächen ermöglichen. Schließlich ist die Installation einer Plattform für die Aussicht von oben auf Teile des Areals vorgesehen. Obligatorisch ist laut Halfenberg ebenso eine dauerhafte Überwachung der Entwicklung der Maßnahmenflächen durch den NABU und BUND. „Das Konzept zeigt, wie wertig das Gebiet immer noch ist, und wie wichtig es ist, dieses vielfältige Leben zu erhalten“, dankte Giesen den Fachleuten.

Wunderbares Gelände mit Potential

Blick von Norden, von der Industriestraße, auf Ausschnitt des NSG  Sürther Aue. c E. Broich.

„Es ist aus unserer Sicht ein wunderbares Gelände mit hohem Potential“, kündigte Holger Sticht auch eine ökologische Baubegleitung an. Er ist Vorsitzender des BUND-Landesverbands NRW. Es gelte, die Lebensraumtypen wiederherzustellen, wie sie vor längerer Zeit hier bestanden hätten. Man wolle auch Arten fördern, die im früheren Rheingebiet allgegenwärtig gewesen seien. Sticht kündigte an, dass als Erstpflege die zukünftige Beweidungsfläche ab November mit schwerem Gerät tief gerodet und Rohbodenflächen hergestellt würden. Ihm ist wichtig zu betonen, dass es sich dabei um Maßnahmen pro Naturschutz und nicht um solche für eine „heimliche“ Hafenerweiterung handle. „Esel spielen eine wesentliche Rolle im Naturmanagement“, sagte Sticht. Die Entscheidung, die Beweidung mit Eseln durchzuführen, habe mit deren tieferer Verbissleistung, mit bestimmten Verhaltensweisen, etwa dem muldenbildenden Wälzen auf dem Rücken, zu tun. Sticht nannte ebenso historische Gründe. „Esel und andere Huftiere gehörten vor langer Zeit zur Fauna der niederrheinischen Bucht.“ Nun wolle man mit ihnen positive Effekte und Einflüsse von Huftieren nachstellen. „Esel schaffen die beste Möglichkeit, die biologische Vielfalt wiederherzustellen“, verwies er beispielhaft auf in der Wahner Heide erzielte Ergebnisse. Jedoch entstehe in der Sürther Aue kein Streichelzoo. Und der Zaun, der bewahre eher eindringen wollende Hunde vor unliebsamen Überraschungen.

Wasserleitung für die Tiere

In der Publikumsrunde machten die Experten noch einmal deutlich, dass das NSG, der Name sage es, dem Naturschutz diene und größtenteils „in Ruhe gelassen werden“ müsse. Entsprechend sei es kontraproduktiv und nicht zulässig, sich abseits der festgelegten Wege aufzuhalten und Hunde frei laufen zu lassen. Eine kompromisslose Absage wurde der Besucherinnenanfrage erteilt, ob nicht zusätzliche Wege, etwa mitten durch das NSG, angelegt werden könnten. Solche Wege müssten nicht nur drei Meter breit ausfallen. Überdies würde deren Nutzung zu beiden Seiten fünf bis zehn Meter störend in die Tierwelt eingreifen. Positiv wurden die Anregungen aufgenommen, Hundekottüten-Spender, Abfallkörbe und weitere Bänke aufzustellen. „für sürth“ erklärte sich spontan bereit, die erste neue Bank zu stiften. Esel müssen nicht nur fressen, sondern auch trinken. Und so informierte Giesen, dass auf seine Anfrage hin Vertretende des Unternehmens Theo Steil im Vorfeld der Veranstaltung zugesagt hätten, von ihrem Gelände im Hafen eine Wasserleitung mit separater Uhr zur Versorgung der Tiere in das NSG legen und zunächst auch für die Wasserkosten aufkommen zu wollen. Apropos Steil: Mit der Aufnahme des Betriebs auf dem an das NSG grenzenden Hafengrundstück ist Ende September zu rechnen.

Hinter (östlich) dem Hafengelände erstreckt sich das NSG Sürther Aue. c E. Broich.

Giesen dankte Klaus Simon vom NABU für seinen jahrelangen Einsatz für die Sürther Aue und Anregung, „dass wir Bürger dort pflegen“. Flach und Giesen appellierten ihrerseits an Bürgerinnen und Bürger, sich nach Abschluss der intensiven, großflächigen Vorbereitungsmaßnahmen aktiv an regelmäßigen gemeinsamen Pflegearbeiten zu beteiligen. Dabei gehe es vorrangig um den Erhalt der extensiven Magerwiesen sowie des Stromtal-Halbtrockenrasens. Das NSG liege vor unserer Haustür und solle uns alle angehen, so der in Sürth ansässige Bezirksbürgermeister. Ja, das sei mit Arbeit verbunden, aber es mache auch Spaß, das in der Gemeinschaft zu machen, warb er für lokale Verbundenheit: „Wir Sürther stehen für unsere Sürther Aue.“ Sticht erzählte von guten Erfahrungen mit der 2010 unter Naturschutz gestellten rechtsrheinischen Dellbrücker Heide als „Bürgerheide“. In den dortigen Biotopflächen nimmt der BUND seit Jahren mit einer konstant zahlenmäßig bedeutenden Gruppe Ehrenamtlicher Pflegearbeiten vor. Giesen nahm den Begriff auf und zeigte sich gespannt, ob man in Sürth eine „Bürgeraue“ hinbekommen werde. Wer sich an Maßnahmen im NSG Sürther Aue beteiligen möchte, kontaktiere bitte den Bürgerverein „für sürth“ unter der Internet-Adresse info@fuersuerth.de.           E. Broich.